Spektakulärer Tongariro
Kapitel 3: Das Crossing und der Northern Circuit
Es gibt Orte, an denen ich bei einer Rückkehr bemerke, wie sehr mich deren Atmosphäre verzaubert. Dazu zählt unter anderem auch die Ketetahi-Hütte, die hoch an den sonnigen Nordhängen des Tongariro liegt und die letzte Etappe des Tongariro Crossing, den Abstieg zum Parkplatz, einleitet. Gerne liege ich auf der Terrasse vor der Hütte und geniesse den Ausblick über die windgekrauste Wasserfläche des Rotaira-Sees, der waldgekleideten, sattgrünen Hügelkette der Kakaramea-Berge und über den Silberspiegel des Taupo-Sees. Unvergleichlich die elektrisierenden Stimmungen bei Sonnenaufgang oder -untergang; die Nächte, bei denen die Lichter von Taupo mit den funkelnden Sternen zu einem einzigen Universum verschmelzen! Von den nahen Ketetahi-Quellen steigen tosend heisse Schwefeldämpfe auf, welche der Beliebtheit der Hütte für Rast, Sonnenbad oder Übernachtung nicht schaden. So kann es an manchen Tage dort schon enger zugehen.
Das Tongariro Crossing wird gerne als die spektakulärste Tageswanderung Neuseelands bezeichnet. Diese fünf bis achtstündige Wanderung durch die Vulkan-, Krater- und Bergwelt hier im Herzen der Nordinsel von Neuseeland offenbart viele der Höhepunkte des Parks. Sie beginnt im Westen, steigt durch das im Mangatepopo- Tal auf, quert durch den flachen Südkrater unterhalb des Ngauruhoe und erreicht nach einem steilen Anstieg den höchsten Punkt: den Red Crater. Weiter führt der Weg vorbei an den grün leuchtenden, alkalischen Emerald Lakes über das weite Zentralplateau vorbei am Blue Lake und schliesslich hinab an der Ketetahi-Hütte vorbei zum Parkplatz im Norden.
Der Northern Circuit bezeichnet die Wanderung vom Visitor Center in Whakapapa über den Tama-Sattel nach Osten hinüber zur Waihohonu Hut, von dort über die Oturere Hut hinauf zu den Emerald Lakes und der Ketetahi-Hut. Von dieser führt der Weg entlang des Crossing über den Red Crater ins Mangatepopo-Tal und von dort zurück nach Whakapapa. Die Wanderung kann auch entgegengesetzt vorgenommen werden. Man sollte mindestens drei Nächte planen, um den Weg und die Eindrücke auch geniessen zu können.
Während die Sonne langsam dem Horizont entgegensinkt und sich die Nachtfrische ankündigt, füllt sich die Hütte nach und nach mit Wanderern. Es ist wieder einmal eine internationale Gemeinschaft und so freue ich mich auf die abendlichen Gespräche, in denen jeder seine individuellen Eindrücke schildert. Ein jeder trägt in seinem glücklichen Gesicht die ungewöhnlichen Entdeckungen und individuellen Erlebnisse der Wanderung durch die zerklüftete Gebirgswelt. Der Park ist offen für alle Menschen und viele nehmen dieses Angebot an. Ungeachtet der Herkunft finden sich erstaunliche Parallelen in Empfinden der monumentalen Grösse der Naturerscheinungen. Man fühlt sich als eine grosse Weltfamilie und kommt sich bei Kerzenschein und dampfendem Tee näher, denn Zusammenrücken muss man oft in den gemütlichen Holzhütten. Viele Paare haben sich hier schon kennengelernt. Oft verlaufen gemeinsame Spiele oder angeregte Diskussionen weit über Wanderer-Mitternacht, so gegen 21 Uhr, hinaus.
In der Nacht ziehen Wolken auf und bald tobt draussen ein kräftiger Sturm. Windböen erschüttern die Hütte und ich bin froh, nicht im Zelt übernachten zu müssen. Die Dämmerung scheint gar nicht anbrechen zu wollen. Wellenförmig jagt der Wind über die Tussockgrasbüschel hinweg, die sich trotzig den aggressiven Böen anschmiegen. Es scheint die Mächte des Windes geradezu herauszufordern: „Sieh her, Wind, du kannst mir nichts anhaben, meine elastischen Stengel sind optimal für diesen Kampf beschaffen!“ Horizontaler Regen und Graupelschauer wecken keine Euphorie für den Aufbruch. Solche Tage sind nicht selten, denn die Lage Neuseelands in den „Roaring Forties“ beschert dem Park viele niederschlagsreiche Wetterlagen und abrupte Wetterwechsel. So herrscht an den Westhängen der Berge, wo sich die Wolken der vorherrschenden Westwinddrift stauen, an durchschnittlich 260 Tagen im Jahr Niederschlag; auf der Ostseite hingegen herrschen trockene Abwinde vor, was sich im wüstenhaften Charakter der Ebenen zeigt. Die abrupten Wetterwechsel, das gemässigte Klima und die einzelnen Höhenstufen des Parks sind so für eine Vielzahl von Naturräumen verantwortlich: von Mischregenwäldern über Buchenwälder, Grasland hin zu alpinen Bergzonen und ewigem Eis.
Das heisse Herz Neuseelands – mehr über den Tongariro Nationalpark:
Kapitel 1: Sonnenaufgang auf dem Ngauruhoe-Gipfel
Kapitel 2: Maoris und ihre Mythen
Kapitel 3: Spektakulärer Tongariro: das Crossing und der Northern Circuit
Kapitel 4: Oturere und Waihohonu – Ödnis und Lebensfülle
Kapitel 5: Ruapehu – Der schlafende Riese oder der Wolf im Schafspelz
Kapitel 6: Schneetanz auf dem Vulkan
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