Almwirtschaft auf der Ackernalm
Wie oft wanderte ich schon über blühende Almwiesen oder wurde auf Touren vom Läuten der Kuhglocken begleitet, während ich mich eher nach einer unberührten Wildnis sehnte. Dabei verkannte ich zusehends, welch vielfältige und ökologisch reichhaltigen Landschaften die menschliche Bewirtschaftung im Alpenraum über die Jahrhunderte hinweg erschaffen hat.
Die Ausweitung der Beweidung mit Nutztieren – Kühe, Schafe oder Ziegen – von den Tälern auf hochgelegenen Sommerweiden im Gebirge hat das Erscheinungsbild der Berglandschaften nachhaltig geprägt. Almen bieten natürlichen Lebensgrundlagen für eine einzigartige Artenvielfalt zahlreicher Tiere und Pflanzen auf den offenen Wiesenflächen. Gäbe es keine Almwirtschaft, wären die Bergwiesen nahezu wieder geschlossen von Büschen und Wäldern bewachsen. Artenvielfalt und Landwirtschaft schließen sich somit nicht aus, im Gegenteil, eine intakte, umweltbewusste Almwirtschaft ist sogar die Voraussetzung für die besondere Artenvielfalt auf den Almen.
Somit sorgen Bergbauern, Sennerinen, Senner und Hirten auch heute dafür, dass die geschaffene und von vielen geschätzte Kulturlandschaft erhalten bleibt. Mit der sogenannten Sömmerung oder auch Alpbestoßung wird der sommerliche Weidegang auf die Alm – bzw. je nach Sprachraum auch Alp genannt – bezeichnet. Die Almwirtschaft unterliegt dabei oft Jahrhunderte alten Nutzungsregelung der lokalen Bauern oder Gemeinden, z.B. als Pacht oder als Berechtigungsalm, die einem Hof zugehörig ist.
Auch heute ist Almwirtschaft noch harte Arbeit, auch wenn elektrisch betriebene Melkmaschinen, motorisierter Transport und Wohngelegenheiten mit Heizung, Strom, oder fliessendes (Warm-)Wasser in manchen Almhütten den Aufenthalt und die Arbeit erleichtern. Trotzdem bleiben die Versorgung der Tiere, Pflege der Weiden, Melken und Misten sowie die Versorgung des abgelegenen Haushalts immer noch anstrengende Tätigkeiten. Auf Wandertouren erlebt man die Almhirten oder den Begriff Almwirtschaft in einem anderen Zusammenhang, wenn sie nämlich durstige wie hungrige Wanderer mit frischen, oft selbst auf der Alm hergestellten Köstlichkeiten wie Almkäse und -butter, Speck oder Schinken versorgen.
Daher war ich sehr erfreut und dankbar, dass ich in diesem Sommer die Gelegenheit für einen tieferen Einblick in den Alltag von Bergbauern bekam. Gleich zwei Kollegen in meinem Betrieb haben eine Pacht für eine Almhütte – die Frau eines Kollegen verbringt als Sennerin den Sommer auf der Ackernalm in den Brandenberger Alpen und wird an den Wochenenden von Ihrem Mann unterstützt. Ein anderer Kollege bewirtschaftet mit seiner Familie und einem zusätzlichen Senner die Roßalm in den Chiemgauer Bergen, die höchstgelegene Alm in den Oberbayerischen Bergen. Mein erster Besuch führt mich im Juli an einem feuchten, nebligen Tag auf die Ackernalm.
Die Ackernalm ist eine auf rund 1.400 Meter Höhe gelegene Alm im Gemeindegebiet von Thiersee in Tirol. Sie erstreckt über die südlichen Hänge des Hinteren Sonnwendjochs und die nördlichen Hänge des Veitsberg und Thalerjoch. Von Frühling bis in den Herbst ist sie auch für Besucher mit dem Auto bequem über eine Mautstrasse zu erreichen, die auf 6 km rund 600 Höhenmeter aufwärts führt und für die aktuell 5 EUR Maut verlangt werden (2020). Auf einem Sattel zwischen dem Thierseer Tal und der Brandenberger Ache stehen zahlreichen Almhütten, auch als Kaser bezeichnet, eine Schaukäserei, ein Gasthof und eine kleinen Kapelle zusammen. Dort findet sich jedem Sommer eine kleine, gesellige Gemeinschaft zusammen. Nicht alle Almhütten werden noch landwirtschaftlich genutzt. Einige sind verpachtet, Künstler schätzen die besondere naturnahe Atmosphäre, aber auch Firmen nutzen solche Hütten für Veranstaltungen und Tagungen.
Die Sennerin versorgt von Juni bis Ende September in der Regel ganz alleine 20 Kühe und 2 junge Kälber. Die Kühe dürfen sich dabei den ganzen Tag frei auf den Almwiesen bewegen und werden zwei Mal täglich zum Melken zum Stall zurückgebracht – die Herde kommt nicht immer vollständig und freiwillig, oft muss man einzelne Kühe auch bei schlechtem Wetter oder in der dunklen Morgendämmerung von den weit verstreuten Aufenthaltsorten her einsammeln und zum Stall treiben.
Die Melkzeit für die Herde ist jeweils 5 Uhr morgens und 5 Uhr abends. Die Tiere haben ihre fest zugeordneten Plätze, an die sie geführt werden. Dort bleiben sie ungefähr 2 Stunden im Stall, bevor sie wieder auf die Weide gehen. Vor dem Melken werden die Euter mit Stroh gereinigt. Dann werden die Zitzenbecher der Melkmaschine, die über Schläuche an die zentrale Vakuumpumpe angeschlossen sind, über die Zitzen geschoben. Da hier ökologische Landwirtschaft betrieben wird, sind die Kühe nicht auf höchste Milchleistung optimiert und geben in ungefähr zehn Minuten Melkzeit zwischen 15 bis 30 Liter Milch.
Die Milch fliesst über die Schläuche und fest verlegte Rohre durch einen Filter, wird gekühlt und landet schliesslich in einem großen Fass aus Edelstahl auf einem Anhänger des Traktors. Die frische Milch wird damit direkt nach dem Melken die wenigen hundert Meter zur nahegelegenen Käserei gefahren und dort abgepumpt. Davor werden die Zitzen und Euter mit Melkfett eingerieben und die Tiere auf Krankheiten oder Blessuren untersucht. Netterweise wurde ich vorab vor dem nachfolgenden, für manch zarten Zeitgenossen eher anrüchig anmutenden Schauspiel gewarnt.
Kaum dass die ersten Kühe mit dem Melken fertig sind, scheißen und spritzen sie jeweils gewaltige Fontänen von Exkrementen in den Mittelgang des Stalls. Die riesigen Kuhfladen werden dann mit Schaufeln und Schiebern in die Jauchegrube verfrachtet werden. Wohl dem, der Gummistiefel trägt. Schliesslich muss auch die Melkanlage noch gespült und gereinigt werden, denn für die Verarbeitung von Lebensmittel gelten strenge Hygieneauflagen. Mit der Hilfe von vier weiteren Händen geht das schneller, dauerte heute dennoch jeweils zwei Stunden.
Da vor kurzem zwei Kühe gekalbt haten, galt es die Kälber mit zu versorgen. Da Mutterkühe ihren Nachwuchs beschützen und daher aggressiv auf andere Kühe (aber auch sich nähernde Menschen und Hunde auf der Weide) reagieren, werden die jungen Tiere zum eigenen Schutz in Boxen im Stall gehalten und von Hand mit der frischen Milch gefüttert. Dazu wird die Milch in einen Eimer mit einer Gumminippel geschüttet und dieser an das Gatter gehängt. In kürzester Zeit trinkt das junge Kalb den Eimer durch die künstliche Zitze leer.
Während im Stall und auf der Hütte nach einer Pause weitere alltägliche Arbeiten anstehen, darf ich zu einer schönen Tageswanderung auf das Hintere Sonnwendjoch aufbrechen.
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[…] meinem Besuch bei den Almbauern auf der Ackernalm standen für die Sennerin weitere alltägliche Arbeiten im Stall und auf der Hütte an. Ich durfte […]
[…] ich in diesem Sommer bereits bei einem Aufenthalt auf der Ackernalm den Alltag von Almbauern kennenlernen durfte, bot sich bei einem weiteren Kollegen erneut die […]
[…] romantisch ist das Leben auf der Alm selten. Die Arbeit auf der Alm ist hart, frühmorgens und nachmittags melken, Melkmaschine reinigen, Tiere versorgen, Stall […]
[…] Sonnenuntergangs und erzeugen ein interessantes Zwielicht. Ich laufe den Fahrweg zwischen den Almhütten hinauf zur Kapelle, wo man eine tolle Aussicht sowohl nach Westen zum Guffert und Blaubergkamm als […]
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