Riquewihr – Ein Fest aus Fachwerk, Geschichte und Genuss

Bunte Fachwerkhäuser in der noch menschenleeren Altstadt von Riquewihr in der frühen Morgensonne, Elsass, Frankreich

Die zweite Etappe auf der südlichen Weinstraße im Elsass führte uns von Ribeauvillé in das nur wenige Kilometer entfernte Riquewihr (Reichenweiher). Ich hatte die Strecke tags zuvor schon bei einer Fahradtour durch die Weinberge zurückgelegt und einen ersten Spaziergang durch die Altstadt zur Motivsuche unternommen.

Ein alter VW Bus Lieferwagen steht vor dem Haus des Nagelschmieds, Fachwerkhäusern und dem Dolder Stadttor in der Altstadt von Riquewihr in der Morgensonne, Elsass, Frankreich

Auch in Riquewihr übernachteten wir erneut auf dem Campingplatz der lokalen Gemeinde („Camping Municipal“) und wurden wieder nicht enttäuscht: herzlicher Empfang, großzügige Stellplätze, saubere Waschräume, viel Grün und viel Ruhe. Überraschenderweise war der Platz trotz Vorsaison komplett belegt – wir hatten ausnahmsweise (und wie sich nun herausstellte auch glücklicherweise) am Vortag noch reserviert. Der Grund lag vermutlich in der Wetterlage: Während südlichere Regionen Kälte und Regen meldeten oder nachts empfindlich abkühlten, versprach das Elsass sonnige Tage und erträglichere milde Abende.

Blick aus den Weinbergen über die Altstadt von Riquewihr und die Vogesen in der Morgensonne, Elsass, Frankreich

Riquewihr liegt, wie viele der Dörfer und Städte an der Weinstraße, eingebettet zwischen Hügeln und umgeben von Rebstöcken, aus denen einige der besten Weine des Elsass stammen. Die Grand Cru-Lagen Schoenenbourg und Sporen genießen weit über Frankreich hinaus einen exzellenten Ruf. Von den Hügeln öffnen sich immer wieder malerische Ausblicke: das in der Sonne schimmernde Rheintal, der Kaiserstuhl und bei klarer Sicht die dunklen Höhenzüge des Schwarzwalds.

Die Sonne spiegelt sich in einem Fenster des mittelalterlichen Wehrturms Dolder in der Altstadt von Riquewihr, Elsass, Frankreich

Die Altstadt von Riquewihr mit vielen gut erhaltenen Stadthäusern ist ein architektonisches Schmuckstück – und fast vollständig von einer mittelalterlichen Stadtmauer umgeben, die einst zwei Verteidigungsringe bildete. Noch heute lassen sich diese Strukturen deutlich nachvollziehen, etwa am Dolder-Turm, dem 25 Meter hohen, wehrhaften Uhrturm aus dem Jahr 1291. Einst diente er als Wachturm, Stadttor und letzte Bastion gegen Angreifer – heute beherbergt er ein Museum. Vor den Dolder wurde im 15. Jahrhundert ein weiteres, verstärktes Stadttor gesetzt – eine doppelte Sicherung, wie sie nur besonders wohlhabende Orte realisieren konnten.

Das mittelalterliche Obere Stadttor und der Dolder Wachtturm in der Altstadt von Riquewihr, Elsasss, Frankreich

Ein schmaler Weg zwischen den beiden Stadtmauern führt zum Tour des Voleurs, dem mittelalterlichen Diebsturm – einst Verlies und Folterkammer in einem. In seinem Schatten, im Halbdunkel, schraubt ein Mann an seinem älteren Motorrad. Die Szene wirkt wie aus der Zeit gefallen – und genau das ist Riquewihr: ein Ort, der sich dem Lauf der Zeit auf elegante Weise entzieht.

Ein Mann reinigt ein altes Motorrad in einer dunklen Gasse an der Stadmauer der Altstadt von Ribeauvillé, Elsass, Frankreich

Riquewihr war im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit ein florierendes Zentrum des Weinhandels. Der Reichtum der Stadt zeigt sich noch heute in den prachtvollen Fachwerkhäusern aus dem 15. bis 18. Jahrhundert, viele davon mit geschnitzten Balkenköpfen, reich verzierten Erkern und kunstvollen Zunftzeichen. Man durchschreitet das untere Stadttor, das im 19. Jahrhundert im neoklassizistischen Stil neu errichtet wurde, und folgt der Hauptstraße sanft bergauf – vorbei an einem der höchsten Fachwerkhäuser des Elsass, über 25 Meter hoch, und am Renaissancehaus der Familie Württemberg-Montbéliard, das einst einem fürstlichen Verwalter diente.

Die strahlende Sonne geht über bunten Fachwerkhäuser in der Altstadt von Riquewihr auf, Elsass, Frankreich

Besonders eindrucksvoll sind auch das Haus des Feinschmeckers sowie das Haus des Nagelschmieds, an deren Eckpfosten kunstvoll geschnitzte Darstellungen der Berufe und Verzierungen. Wer die Hauptstraße verlässt und den Seitengassen folgt, entdeckt verborgene Juwelen wie das Dissler‑Haus mit seiner Renaissance-Fassade oder das Conrad‑Ortlieb‑Haus, das einst einem reichen Tuchhändler gehörte.

Mittelalterlicher Brunnen in der Altstadt von Riquewihr in der Morgensonne, Elsass, Frankreich

Ein weiterer Höhepunkt ist auch der Platz der drei Kirchen, der einstiger Kirchhof war – ein außergewöhnliches Zeugnis religiöser Vielfalt. Die mittelalterliche Pfarrkirche Sainte‑Marguerite, geweiht der Heiligen Margareta von Antiochia, entstand bereits im 12. Jahrhundert als romanisch-gotische Chorturmkirche. Die Pilgerkirche Notre‑Dame, errichtet um 1337 von Ulrich III. von Württemberg-Rappoltstein, beherbergte ein wundertätiges Marienbild und war einst ein vielbesuchter Wallfahrtsort. Nach der Reformation wurde sie zum protestantischen Pfarrhaus umgewandelt. Die Kirche Saint‑Erard, ursprünglich Hospitalskapelle aus dem späten 14. Jahrhundert, war dem Heiligen Erhard von Regensburg geweiht. Auch sie wurde protestantisch umgenutzt, heute zeugen überlieferte Reste eines Wandgemäldes mit dem Jüngsten Gericht und eine alemannische Inschrift über die einstige Nutzung.

So ist der Platz der drei Kirchen heute ein stiller Geschichtszeugenplatz: Historische Ruinen, protestantische und katholische Gotteshäuser – ein einmaliges Ensemble, das die kulturelle und konfessionelle Entwicklung dieses elsässischen Weindorfs eindrucksvoll in Stein schreibt.

Blick durch das obere Stadttor des Dolder Wachtturms auf die Fachwerkhäuser in der Altstadt von Riquewihr in der Morgensonne, Elsass, Frankreich

Genuss mit Geschichte – Kulinarik im Elsass

Kulinarisch ist Riquewihr ebenso reich wie architektonisch. In den kleinen Läden locken bunte Macarons, luftige Kougelhopf und würzige Pain d’épices – Lebkuchen mit Honig und Gewürzen nach alter elsässischer Rezeptur. In den Weinstuben und Restaurants werden Klassiker der Region serviert: Schweinefleisch (gerne das Schulterstück, dann sind das Schifala), Sauerkraut mit Riesling gekocht und mit einem Glas Kirsch gewürzt  – das elsässische Gericht schlechthin – Hähnchen in Rieslingsauce – Coq au Riesling, Bibbeleskäs, ein kräuterfrischer Quark mit Kartoffeln, oder das herzhafte Choucroute garnie, Sauerkraut mit verschiedenen Würsten und geräuchertem Fleisch. Auch Tarte flambée – der elsässische Flammkuchen (flammenkueche) – fehlt in kaum einer Speisekarte, mal klassisch mit Zwiebeln und Speck, mal modern mit Ziegenkäse oder Pilzen sowie Baeckeoffe, ein elsässischer Eintopf, bei dem drei verschiedene Fleischsorten gemeinsam gegart werden: Rind, Lamm und Schwein. Dazu kommen noch Karotten, Zwiebel, Kartoffeln, Kraut und erneut ein guter Schuss Weißwein. Als Süßspeise ist der Kougelhof bekannt. Im Gegensatz zum in Österreich beliebten „Gugelhupf“ handelt es sich bei Kougelhof allerdings um einen Briocheteig, der mit ganzen Mandeln verziert wird und mit Rosinen gefüllt wird. Zumeist wird auch etwas Kirschwasser oder Rum dem Teig beigemischt.

Ein Mann verlädt Backwaren von einem Lastwagen am Morgen in der Altstadt von Riquewihr, Elsass, Frankreich

Dazu genießt man einen Riesling, Pinot Gris oder einen spritzigen Crémant aus den umliegenden Lagen – oft direkt vom Winzer. Die Kombination aus deftiger Hausmannskost und feinen Aromen des Weißweins spiegelt die Seele des Elsass: bodenständig, aber raffiniert; historisch, aber lebendig. So wie Riquewihr selbst.

Fachwerkhäuser mit Weinhandlungen, Cafes und Restaurants in der General-de-Gaulle-Straße in der Altstadt von Riquewihr im Gegenlicht der Morgensonne, Elsass, Frankreich

Wir waren gespannt, was uns in den kommenden Tagen in Colmar und Eguisheim noch geboten werden würde.

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  1. […] fein verziertes Fachwerk, das in warmen Erdtönen leuchtet – wie schon in Ribeauvillé, Riquewihr, Colmar oder Kaysersberg. Und doch ist Eguisheim […]

  2. […] Etappe der Reise entlang der elsässischen Weinstraße in Eguisheim abschlossen, fuhren wir von Riquewihr ins nahegelegene Colmar, das immer im Schatten von Straßburg zu stehen scheint. Morgens, wenn das […]

  3. […] meinem Standort in Riquewihr konnte ich kurze und lange Radtouren durch die Weinberge an der südlichen Weinstraße im Elsass […]

  4. […] Elsaß in die Gegend um Colmar hatten wir es nie geschafft und sehenswerte Orte wie Ribeauvillé,  Riquewihr, Colmar, Kaysersberg und Eguisheim somit verpasst – das sollte sich nun […]

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