Industrie- und Badelandschaft Baggersee

Orangener Kiesbagger an einem Baggersee in den Isarauen, Bayern, Deutschland

Ich bin am Oberrhein aufgewachsen. Dort in der Rheinebene, zwischen Schwarzwald und Vogesen, hat der Fluß über Jahrtausende Kies und Sand angeschwemmt und abgelagert. Wegen der großen Nachfrage der Bauwirtschaft werden diese abgebaut, dadurch entstanden zahlreiche Baggerseen in der weiten Flusslandschaft, neben verbliebenen Auenwäldern und dem begradigten Rhein hinter seinen hohen Dämmen.

Ein Baggersee war für Teenager in den 1980-Jahren als Badeort angesagt. Schwimmbäder galten nur als Planschbecken für Kinder oder spießige Familien. Das Baden am Baggersee bot daher viele Reize. Das lag einerseits an der vermeintlich verbotenen Handlung – betrat man doch ein privates Betriebgelände und wurde nur geduldet. Dann traf man andereseits auf ruchlose Badegäste, welche sich mehr oder weniger abgesondert oben ohne oder ganz nackt präsentierten und für uns Jugendliche die voyeuristische Begierde befriedigten. Die hübschesten Mädels waren sowieso nur dort zu finden gewesen.

Ausleger mit Baggerschaufeln an einem orangenen Kiesbagger an einem Baggersee in den Isarauen, Bayern, Deutschland

Es gab die gemütlichen, schattigen Liegeplätze auf Gras unter Pappeln. Deren üppig vorkommende Pappelsamen jedoch trieben Schneeflocken ähnlich durch die Luft, bedeckten den Boden mit ihrem weißem Flaum und drangen in jede Tasche, ins Essen und die Getränke vor. Wir bevorzugten eher die sandigen Liegeplätze, die ein Gefühl wie an einem Strand vermittelten. Ich lag oft auf einen Platz auf einem der zur Lagerung nach Korngröße aufgeschütteten Sandhügeln, weil man dort oben das muntere Treiben noch besser beobachten konnte. Allzu grob durfte der Untergrund jedoch nicht sein, da größere oder spitze Steinen ungemütlich durch das Badetuch hindurch drückten sowie man darauf kaum barfuß laufen konnte.  In der mittäglichen Bruthitze, eingecremt mit Melkfett, briet ich wie ein paniertes Schitzel in der staubigen, grell reflektierenden Sandfläche. Dadurch holte ich mir öfters schmerzhafte Sonnenbrände ein. Dem Risiko Hautkrebs waren wir uns damals nicht bewusst und das gegenseitige Abziehen und Pulen der Hautschichten am Rücken war ein beliebter Zeitvertreib, aus sozialer Sicht vielleicht vergleichbar dem Lausen bei Affen.

Gebäude einer geschlossenen Tankstelle an einer Landstraße

Mit 13 Jahren fuhr ich zum ersten Mal an einen Baggersee, damals noch mit meinem orangefarbenen Bonanzarad. Luftmatratze, Pumpe und Badesachen waren kunstvoll am Lenker, Rahmen und unter dem Bananensattel verschnürt. Solchermaßen unbedarft machte ich mich auf  die immerhin rund 15 km Wegstrecke, zuerst noch durch die morgendliche Frische. Der Rückweg am Nachmittag führte hingegen durch die Gluthitze auf langen schattenlosen Asphaltstraßen und saugte die letzten Kräfte aus dem ausgedörrten Körper. Mit 15 Jahren wurde das Fahrrad dann durch ein Mofa ersetzt und die Fahrt somit weniger anstrengend. Ich hatte sehr wohl die Warnungen meiner Großmutter im Ohr – vor kalten Strömungen, welche selbst erfahrene Schwimmer nach unten ziehen oder zu Krämpfen führen, oder der Gefahr einer Verletzung beim Sprung ins trübe, unbekannte Wasser. Das war keine Mär, wir lasen leider gelegentlich von solchen Unglücksfällen mit Wirbelbrüchen und Querschnittslähmungen in der Zeitung.

Am Baggersee war ich umgeben von einer metallenen, rostigen Industrielandschaft aus Türmen und Brücken: die Schaufelbagger, die weitverzweigten Transportbänder auf Stelzen oder betonierte Verladenanlagen für die schweren Kieslaster. Die größte Mutprobe stellte der Sprung von einem der Schwimmbagger ins Wasser dar. Nicht nur wegen der Höhe von 10 bis 12 Metern, die Gefahr waren zudem unsichtbare Seile, Metallteile oder Leitungen unter der Wasseroberfläche.  Auf dem Weg hinaus drückten sich die metallenen Lochgitterstege und die dünnen Sprossen der Leitern tief und schmerzhaft in die Fussohlen, als wir Barfuss zur Plattform oben auf dem Schwimmbagger hinaufklettern. Abstieg war keine Option. Beim Sprung hinab galt es, die Arme nicht rechtzeitig vor dem Eintauchen in die Wasseroberfläche anzulegen. Nicht nur einmal schaffte ich es nicht und handelte mit blaue Flecken an den Oberarmen ein.

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